Die Wahlfreiheits-Farce (Fh 2019/3)

Vater und Sohn

von Wiltraud Beckenbach

Es ist mittlerweile unbestritten, dass Fürsorgearbeit grundlegend ist für das Wohlergehen von Mensch, Gesellschaft und Staat. Deshalb ist es nicht länger hinzunehmen, dass diejenigen, die heute Fürsorgearbeit leisten, dafür mit finanziellen Einbußen bis hin zum Armutsrisiko zahlen müssen. Doch die Nicht-Achtung der Fürsorgearbeit – speziell der in der Familie erbrachten – ist derart in den Köpfen der Menschen einzementiert, dass es trotz dieser Erkenntnis selbst Eltern und deren Interessenvertretern oft nicht gelingt, diese Arbeit als lohnwerte und gesellschaftlich anzuerkennende Leistung zu begreifen..

Das zeigt sich darin, dass sie sich nicht ernstlich für eine echte Wahlfreiheit der Eltern stark machen, weil sie wissen, dass ein Verzicht auf Erwerbsarbeit zugunsten der Fürsorgearbeit unter den heute gegebenen politischen Rahmenbedingungen in den finanziellen und gesellschaftlichen Ruin führen kann. Folglich werden Eltern gegängelt, sich zulasten der Fürsorgearbeit für die Erwerbsarbeit zu entscheiden. Überlegungen dazu, was im individuellen Fall den Beteiligten am zuträglichsten wäre, sind unerwünscht. Die viel gepriesene Wahlfreiheit, die angeblich durch die einseitige Subvention des Krippenausbaus gewährleistet wird, ist eine Einbahnstraße, um die Eltern, vor allem die Mütter „vor sich selbst zu schützen“, was impliziert, dass man diese nicht für fähig hält, eigenständig kompetente Entscheidungen zu treffen. Schon Simone de Beauvoir, die Großtante des Feminismus, warnte davor, den Frauen Wahlfreiheit zu gewähren.

In einem Interview im Jahr 1975 sagte sie: „Nein, wir glauben nicht, dass Frauen diese Wahl haben sollten. Keiner Frau sollte erlaubt sein, zu Hause zu bleiben, um ihre Kinder zu erziehen. Die Gesellschaft sollte völlig anders sein. Frauen sollten diese Wahl nicht haben, genau darum, weil zu viele Frauen, wenn es eine solche Wahl gäbe, diese dann auch in Anspruch nähmen. Es ist ein Weg, Frauen in eine bestimmte Richtung zu zwingen.“ (Simone de Beauvoir in „Sex, Society, and the Female Dilemma. A Dialogue between Simone de Beauvoir and Betty Friedan“ In: Saturday Review, 14.6.1975, S. 18).

Statt für die eigenständige finanzielle Absicherung sowie Anerkennung derjenigen zu kämpfen, die familiäre Fürsorgearbeit leisten, beschränken sich manche Interessenvertretungen darauf, die Anpassung der Bedingungen für die Erwerbstätigkeit und – als hinreichend strapaziertes Mantra – die Gleichstellung im Erwerbsleben zu fordern. Nämlich, so wie das auch die Familienministerin vertritt, die Vollerwerbstätigkeit beider Eltern zu ermöglichen, wobei die betroffenen Kinder entsprechend umfänglich fremdbetreut werden und die gemeinsame Zeit mit ihnen irgendwie „aus den Rippen zu schneiden“ sei.

Nennt man das „vereinbaren“? Ist es sachgerecht angesichts der Tatsache, dass die Kinder eine feste emotionale Bindung an ihr Elternhaus brauchen, um sich für „Bildung“ überhaupt zu öffnen und zu leistungsfähigen und -bereiten Jugendlichen heranzuwachsen? Dies umso mehr, als der zweite Elternteil auch in Paarfamilien meist abwesend ist.

Forderungen an die Arbeitgeberschaft, für Eltern Sonderbedingungen zu schaffen, kommt uns vor wie „Betteln um ein Almosen“, denn der Wettbewerb in der Freien Wirtschaft erlaubt im Grundsatz keine Absprachen für die Leistungsminderung einzelner Arbeitnehmer/innen. Haben Eltern das nötig? Im Ernstfall wird bei Bewerbungsgesprächen immer ein Kollege vorgezogen werden, dessen Einsatzfähigkeit nicht durch die Verantwortung für Kinder eingeschränkt ist.

Nach unserer Überzeugung ist das Großziehen eigener Kinder eine der Erwerbsarbeit ebenbürtige Arbeit, auf die Staat und Gesellschaft zwingend angewiesen sind. Sie ist eine lohnwerte Arbeit, nicht nur wenn Erzieher/innen und Lehrer/innen zum Einsatz kommen. Auch Eltern können nie an zwei Orten gleichzeitig sein! Sie stehen rund um die Uhr in der Verantwortung für ihre Kinder – egal wie viel sie davon delegieren.

Unser Grundgesetz ordnet die Pflicht und das Recht, die Kinder zu erziehen, zuvörderst den Eltern zu. Staatliche Maßnahmen, die diese Vorgabe unterlaufen, sind folglich grundgesetzwidrig. Zu nennen ist hier die millionenschwere einseitige Förderung der öffentlichen Betreuungsangebote, während die elterliche Erziehungsleistung zum Nulltarif eingefordert wird.

In ähnlicher Weise untergräbt unsere Rentengesetzgebung den grundgesetzlich festgeschriebenen „besonderen Schutz“ der Familie: Es sind allein die Eltern, die die nächste Generation von Rentenzahlern für das umlagefinanzierte System aufziehen und so dessen Weiterexistenz und Funktionsfähigkeit garantieren. Eigene Rentenansprüche erwerben die Eltern dadurch aber kaum, denn diese stehen vorzugsweise den Rentner/innen zu, deren Vollerwerbstätigkeit und Karriere nicht durch die Erziehung eigener Kinder eingeschränkt war. Die hart umstrittene „Mütterrente“ wird als „Sozialleistung“ mit Almosencharakter gewährt. Um eine Standardrente (Rente bei 45 Erwerbsjahren mit Durchschnittsverdienst) in Höhe von 1284,- € ohne begleitende Erwerbstätigkeit zu erzielen, müsste eine Mutter 13 Kinder aufziehen (bezogen auf ab 1992 geborene Kinder). Ein Skandal!

Nicht zuletzt sei auf die Lenkungswirkung des Elterngeldgesetzes hingewiesen: Infolge seiner Funktion als Lohnersatz erhalten die Eltern, die vor der Geburt ihres Kindes in Bestposition erwerbstätig waren, den Höchstbetrag. Er beträgt das Sechsfache dessen, was einer in Ausbildung befindlichen jungen Mutter oder einer Mehrfachmutter, die schon ältere Kinder zuhause betreut, zusteht. (Dass Väter, die Elternzeit leisten, meist mehr Lohnersatz einstreichen als die zugehörigen Mütter, stört vorläufig keine überzeugte Pay-Gap-Feministin!) Die zeitliche Begrenzung des Elterngelds auf ein Jahr hat Signalwirkung für die Eltern: „Zeit, das Kind in die Krippe zu bringen!“

Abschließend stellen wir fest: eine Gleichberechtigung der Menschen, ob Mann oder Frau, kann es nur geben, wenn die Familienarbeit der Erwerbsarbeit tendenziell gleichgestellt wird. Es ist eine Farce, wenn die Väter ermahnt werden, gleichbeteiligt in die Familienarbeit einzusteigen, solange dies zu denselben Bedingungen geschehen soll, wie sie seit jeher den Müttern zugemutet werden.

Und wir fragen: Was ist das für ein Feminismus, der aus dem Gleichberechtigungsanspruch der Frauen ausgerechnet den weiblichsten Anteil, nämlich die Mutterrolle ausklammert?

Zunächst plädieren wir für eine Reform des Elterngeldgesetzes, indem die für die Krippen vorgesehenen Steuergelder an alle Eltern von U3-Kindern in gleicher Höhe ausbezahlt werden. Die Eltern sind dann völlig frei in ihrer Entscheidung, ob sie den Betrag als Lohn für ihre selbst geleistete Erziehungsarbeit behalten oder ob sie damit eine anderweitige Betreuung für ihr Kind „einkaufen“, um selbst erwerbstätig zu sein. Diese Entscheidung sollten wir den Eltern zutrauen und auf besserwisserische Gängelei verzichten!

Comments

  1. Lena schreibt:

    Ich bedauere sehr diese Wahlfreiheit nicht gehabt zu haben. Wenigstens die ersten drei sollte dies möglich gemacht werden und auch sein.
    Ich sehe auch die vielen Vorteile der Betreuung in der Kita, aber erst einem alter von drei Jahren sind diese erst wirklich relevant.
    Vorher braucht das Kind seinen eigenen Rhythmus und es reicht völlig aus die eigene kleine Welt zu Hause zu erforschen. Die Bindung zu den Eltern ist in den ersten Lebensjahren das Wichtigste und die sollte ausgiebig ausgebaut werden.
    Als berufstätige Mami bekomme ich, weder Wertschätzung für die Haus und Familienarbeit die ich zusätzlich leiste, noch die Anerkennung im Beruf und das obwohl ich täglich an und über meine Grenze gehe.
    Es gibt leider keine Familienfreundlichkeit.

  2. Jenniffer schreibt:

    Liebe Lena, erst einmal vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich kann aus eigener Erfahrung und aufgrund ausführlicher Recherchen über die Wichtigkeit der frühen Bindung bestätigen, wie wichtig die ersten drei Jahre im Leben eines Menschen sind, auch, wie diese ihn / sie prägen. In den ersten drei Jahren entwickelt sich bspw. ein Großteil des Gehirns. Auch wenn Eltern manchmal denken, das eigene Kind bräuchte soziale Kontakte und die viel beworbene frühkindliche Bildung, so sollten sie sich die Ergebnisse der Bindungsforschung ansehen und ihr Kind bis mindestens zum dritten Geburtstag selbst betreuen. Dass die Politiker diese Ergebnisse endlich ernst nehmen, und entsprechend handeln, ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt dahingehend, dass die Gesellschaft gesundet.
    Alles Gute für euch wünscht Jenniffer – Stellvertretende Vorsitzende des Verband Familienarbeit e.V.

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