Lebenslanges Lernen und Bildung (Fh 2018/2)

von Silke Bürger-Kühn

Das Magazin „Forschung&Lehre“ 1) wagt in einem Artikel 2) eine Überlegung, warum die Bildung nachlässt, was „lernen“ eigentlich bedeutet und widmet sich dem Begriff „Lebenslanges Lernen“.

Entstehung des Begriffs: Der Begriff „Lebenslanges Lernen“ trat erstmals in den 1960/1970er-Jahren auf und war verbunden mit der Sorge, das europäische Wirtschaftssystem sei nicht leistungsfähig genug. So empfahl der Deutsche Bildungsrat schließlich, diese anhaltende Bereitschaft des Lernens schon in der frühen Kindheit einzuüben. Dies sollte dem ständigen Wandel in der Gesellschaft Rechnung tragen und die stetige Angst „abgehängt“ zu werden ausgleichen.

Es ist also als eine Anpassungsleistung des Menschen an das System zu verstehen. Und es ist hier nicht das automatische und natürliche Hinzulernen gemeint, das wir gar nicht vermeiden können, sondern das bewusste und fortlaufende Hinzulernen durch Schulungen, Fortbildungen, Eigeninitiative, das seit jener Zeit von uns allen erwartet wird. Das bedeutet gleichzeitig ein „Nichtfertigwerden“, denn wer lebenslang bewusst lernt, besser noch dazu angehalten wird, sich ständig fortzubilden, weiß ja zuvor irgendetwas noch nicht, bleibt ein ewiger Schüler, kurz und gut: ein Mängelwesen, das sich von Zwischenziel zu Zwischenziel hangelt, ohne je fertig zu werden. Dies bewirkt ein Gefühl ewiger Unzulänglichkeit und wer nie fertig wird, wird eigentlich auch nie richtig erwachsen, kann keine Verantwortung übernehmen, keine Orientierung geben.

Kompetenzen kann man nicht wie Briefmarken sammeln, kluges Handeln basiert auf der reflexiven Aneignung und Anwendung des erlangten Wissens; bloßes Wissen reicht nicht aus. Und: bewirkt das Gefühl, etwas verstanden zu haben und es sinnvoll anwenden zu können, nicht ein Glücksgefühl in uns? Somit könnte man das Lernen sogar als Lebenssinn bezeichnen und das bildende Lernen sowie die Persönlichkeitsbildung als die wichtigste gesellschaftliche Ressource überhaupt. Bildendes Lernen sieht die Lernprozesse selbst als persönlichkeitsbildend, daher sollte von Schulen und Universitäten erwartet werden können, dass sie diesen Vorgang unterstützen und nicht kritischen Köpfen mit Ablehnung begegnen. Denn Persönlichkeiten bilden sich nur in der Auseinandersetzung mit anderen. Lernen bedeutet, das vorher Gelernte auf das eigene Leben anzuwenden und dadurch alles in einem neuen Kontext zu sehen, neue Möglichkeiten zu entdecken und auszuformen (Aha-Erlebnisse), die aktuelle Wirklichkeit zu verändern, weiterzuentwickeln und dadurch neue Wirklichkeiten zu schaffen. Altes, Selbstverständliches wird hierdurch unter Umständen überflüssig oder gar überholt, es muss dann verlassen werden, um dem Neuen Raum zu geben.

Grundlage des Lernens ist die Neugier. Um diese zu erhalten, muss der Mensch positiv gestimmt bleiben, was wiederum bedeutet, dass man auf seinen Stärken aufbauen muss und nicht seine Defizite hervorheben sollte. Und Lernen darf nicht mit der Anhäufung von Wissen verwechselt werden, sondern es muss die Fähigkeit erworben werden, Probleme selbstständig zu durchdenken. Dazu braucht es Persönlichkeiten, die auch den Mut haben etwas anzuzweifeln und neu zu denken. Aber genau das ist in unserem Schulsystem nicht üblich, sondern wer den Mund aufmacht, läuft Gefahr, es mit einer schlechten Benotung zu bezahlen. Doch kluge, reife Entscheidungen können ständige Ja-Sager nicht treffen, denn sie reflektieren nicht, sie reagieren nur. Um die Welt sinnvoll mitgestalten zu können, muss man auch „nein“ sagen dürfen, sonst wäre das Ende von Schule und Wissenschaft vorprogrammiert.

1) „Forschung&Lehre“ ist das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt des Deutschen Hochschulverbandes
2) „Forschung&Lehre“, Heft 8/17, Artikel „Abschied vom lebenslangen Lernen“, Gedanken über ein komplexes anthropologisches Phänomen von Prof. Andreas Dörpinghaus, Universität Würzburg, er lehrt Systematische Bildungswissenschaft (S. 674-678)