Interview mit Christa Meves (Fh 2016/4)

Liebe Frau Meves, Sie wurden 1925 geboren, schlossen Ihr Studium der Philosophie, Geographie, Pädagogik und Psychologie 1949 mit dem Staatsexamen ab und absolvierten 1960 eine Zusatzausbildung zur Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Sie sind Mutter von zwei Töchtern und haben mittlerweile sechs Enkel und drei Urenkel. Noch heute beraten Sie Eltern. Woher kommt diese unbändige Energie und Leidenschaft?

Nun, das körperliche Fit-sein im Alter von 91 Jahren ist doch erst einmal ein Geschenk, „ohn‘ all Verdienst und Würdigkeit“. Aber mein mich immer noch drängender Antrieb wird bestimmt durch die seelische Not von Eltern mit ihren Kindern, die täglich bei mir anbrandet. Dabei handelt es sich – wie wir heute durch die Hirnforschung nun ganz genau nachweisen können – oft um Störungen der Kinder, die bereits in ihren ersten Lebensjahren durch unnatürliche Erziehungsmaßnahmen entstanden sind. Denn in den ersten Lebensjahren bildet sich das Gehirn erst allmählich und zwar auf dem Boden der Erfahrungen der Kinder mit ihrer Umwelt heraus. Die Eindrücke werden als richtig oder falsch, und das heißt als Zufriedenheit oder Unzufriedenheit in die entsprechenden Areale des Stammhirns so fest eingeprägt, dass sie zu einer Grundstimmung des Kindes – später sogar zu Charakterzügen – werden. Da diese Forschungsergebnisse in Bezug auf die Gepflogenheiten von Säuglingen und Kleinkindern nicht ausreichend bekannt sind, ja, sogar weitgehend verschwiegen werden, entwickelt sich nun wie eine Lawine ein enormer Boom von unzufriedenen und dadurch unruhigen Kindern mit den verschiedensten Verhaltensstörungen, die spätestens im Grundschulalter die Lern- und Leistungsfähigkeit behindern. Das wäre leicht verhinderbar durch eine allgemeine Informiertheit darüber, dass Kleinkinder ganz bestimmte natürliche Entfaltungsbedingungen haben. Diese wären ganz leicht durchführbar, weil die gesamte Biologie des Kindes bereits darauf ausgerichtet ist. Deshalb bleibt mir gar nichts weiter übrig, als weiter meine Stimme zu erheben, zumal hier nun per Printmedien oder auch per Elektronik die Wahrheit besser verbreitet werden kann. Es lässt sich als verantwortungsbewusste Fachfrau doch ein solches kollektives Unglück nicht einfach hinnehmen; denn so viel Glück und Erfolg oder Unglück und Misserfolg langfristiger, lebenslänglicher Art steht damit doch auf dem Spiel!

In Ihrer Praxis erkannten Sie bestimmte Entwicklungen und warnten bereits früh – in 121 Büchern, 3000 Vorträgen und zahlreichen Artikeln – vor gefährlichen Folgen. Können Sie kurz darlegen, was Sie prognostizierten und was davon bereits eingetreten ist?

Bereits in den 60er Jahren stellte ich fest, dass die Verhaltensstörungen bei Kindern immer mehr zunahmen. Deswegen schien es mir notwendig, in der Öffentlichkeit auf die Bedeutung der frühen Kindheit hinzuweisen. Ab 1968 wies ich unentwegt – unter dem Motto und Titel: „Manipulierte Maßlosigkeit“ – darauf hin, dass in Zukunft eine Vielzahl das Leben erschwerender Störungen entstehen würden: Die motorische Unruhe würde sich bei den Kindern steigern. Die Kinder würden viel mehr Schwierigkeiten haben, sich sozial zu verhalten, viele würden nun sogar eine Verwahrlosung entwickeln, die sie unfähig werden lässt, Schul- und Ausbildungsabschlüsse zu machen, die Suchterkrankungen würden boomen, und ebenso würden die Raub-, Gewalt- und Sexualdelikte in einem verheerenden Ausmaß steigen. Diese Prognosen sind schrecklicherweise und oft in noch viel verheerenderer Form eingetreten, als ich das damals hochrechnen konnte. Die Zahl der jungen Menschen, die heute für Arbeitsprozesse gar nicht mehr vermittelbar sind, ist viel zu hoch und bewirkt, dass wir 60 Prozent unseres Staatssäckels für soziale Leistungen aufzuwenden haben. Wie lässt sich das gesellschaftlich nun auch noch mit dem Zustrom an Ausländern weiter langjährig leisten, ohne einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu erleiden? Das ist die bange Frage.

Sie belassen es nicht bei Prognosen, sondern kämpfen für Verbesserungen. Seit 1996 stehen Sie dem Verein Verantwortung für die Familie – VFA e.V. – vor. Im Jahr 2000 gründeten Sie die Fortbildungseinrichtung ElternColleg-Christa Meves (ECCM) ® . Was können Eltern, Gesellschaft und Politik für das seelische, geistige und körperlich gesunde Heranwachsen unserer Kinder tun?

Als erstes muss jeder von uns dazu beitragen, dass die faktische Wahrheit nicht einfach unter den Teppich gekehrt wird, so dass familienfeindliche Aspekte bei den gesellschaftlichen Trends die seelische Gesundheit der jungen Generation so stark gefährden können. Kollektiverziehung kleiner Kinder macht die Seele kaputt! Das können wir mittlerweile wissenschaftlich belegen. Es darf nicht sein, dass hier Lügen und falsche Vorstellungen die Allgemeinheit beherrschen. Dafür muss sich jeder mit verantwortlich fühlen, der sich seinen gesunden Menschenverstand bewahrt hat. Die elektronischen Medien machen das heute möglich. Wir müssen Parteien wählen, die der wissenschaftlichen Wahrheit in dieser Hinsicht Vorrang einräumen; denn erreichen ließe sich seelische Gesundheit mit den einfachsten Mitteln ganz leicht, wenn man sich nur an die von Gott vorgegebene Naturordnung halten würde. Praktisch bedeutet das, dass Familienarbeit – vor allem die der Mütter von kleinen Kindern – vom Staat subventioniert wird, wenn Bedürftigkeit besteht. Junge Eltern sollten in Schulen und Kursen auf gesunde Erziehungsarbeit vorbereitet werden. Mütter sollten bevorzugt werden, wenn sie nach der Erziehungspause wieder in ihre Berufe zurückkehren möchten. Überhaupt wäre es nötig, dass Mütterarbeit eine hohe allgemeine Anerkennung und eine eigene Berentung bekäme, damit diese wertvollste aller Zukunftsarbeiten überhaupt wieder attraktiv wird und der 50-jährige Geburtenschwund ein Ende hat.

Liebe Frau Meves, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview wurde geführt von Ulrike Brandhorst