Bericht vom Landesfrauenrat in Stuttgart (Fh 2016/4)

von Ute Steinheber

Anstelle der erkrankten bisherigen Delegierten Silke Bürger-Kühn vertrat ich erstmals unseren Verband beim Landesfrauenrat Baden-Württemberg, der im Stuttgarter Literaturhaus bei der Liederhalle stattfand.

Dieses größte frauenpolitische Bündnis Baden-Württembergs bündelt und vernetzt die verschiedenen Belange von Frauen zu einer starken gemeinsamen Stimme in der Öffentlichkeit, bei der Landesregierung, in unterschiedlichen Gremien der Landespolitik, in Wirtschaft und Gesellschaft.

Als vorrangig auf Landesebene tätige Nichtregierungsorganisation (NGO) engagiert sich der LFR für eine angemessene Beteiligung von Frauen in Entscheidungsgremien aller Art. Zu diesem Zweck erachtet der LFR verbindliche gesetzliche Quoten für notwendig, u.a. bei der Weiterentwicklung der Wahlgesetze, was sich im Antrag 1 widerspiegelte. Dieser fordert ein Paritätsgesetz, nach dem die Kandidaturlisten verbindlich zu jeweils der Hälfte aus Frauen und Männern unter Anwendung des Reißverschlussverfahrens zu besetzen seien. Ich stellte den Einwand in den Raum, dass sich nicht genügend qualifizierte Frauen aufstellen lassen, ganz einfach, weil ihnen als Müttern die Zeit und die Energie für politisches Engagement in den erziehungsintensiven Jahren fehlen. Dadurch kämen zu viele sehr junge, unerfahrene oder auch unqualifizierte Frauen zum Zuge und männliche Kandidaten hätten das Nachsehen.

Das beste Beispiel hierfür bot die neue Generalsekretärin der Landes-SPD Louisa Boos, die vom LFR an diesem Nachmittag mit großem Bedauern aus dem Vorstand verabschiedet wurde. Die junge alleinerziehende Mutter wurde von Leni Breymaier, der ehemaligen Verdi-Vorsitzenden und neuen SPD-Fraktionschefin, in das hoch dotierte und anstrengende Amt gehievt. Sicherlich wird Frau Boos somit der Altersarmut als Frau und Mutter eines heute etwa 7 jährigen Sohnes vorbeugen können. Ihre Eignung unterstrich sie mit den Worten: „…Ich bin stolz, dass wir Frauen die Eier in der Hose haben, um uns endlich politisch durchzusetzen!…“.

Im Antrag 2 des LFR wurde in eigener Sache eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrags auf nun 100,- € im Jahr gefordert und diskutiert. Er wurde trotz einiger Einwände und Nein-Stimmen mehrheitlich angenommen. Der Deutsche Gewerkschafts-Bund Frauen Baden-Württemberg forderte in weiteren Anträgen:

1. ein Frauenbündnis gegen Altersarmut mit der Begründung, dass sowohl die Entgeltlücke als auch die Teilzeitquote der Frauen in BW erheblich höher sei als im Bundesdurchschnitt. Deshalb sei ein Umdenken in der Rentenpolitik und eine Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung notwendig. Der Antrag wurde mehrheitlich angenommen.

2. die Finanzierung von Frauenhäusern. Der LFR fordert die Landesregierung auf, verstärkt gegen häusliche Gewalt vorzugehen und die dauerhafte und landesweit einheitliche Finanzierung der Frauenhäuser sicherzustellen. Der Antrag wurde einstimmig angenommen.

3. eine Neuauflage des „Atlas zur Gleichstellung von Frauen und Männern in Baden-Württemberg“.

Im Herbst 2016 wird auf Beschluss der 26. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister zum 3.Mal ein solcher Atlas herausgegeben. Das Land BW ließ einen Atlas zum gleichen Thema erstellen, der ein Mittel zur Information, Dokumentation und Kontrolle der Gleichstellungspolitik sei. Dies erfordere Kontinuität, um notwendige Schlussfolgerungen zu ziehen und bei Nachholbedarf weitere politische Weichenstellungen zu ermöglichen. Meine Frage, welche Parameter für eine Gleichstellung hier angesetzt werden, wurde nicht beantwortet. Der Antrag wurde mit meiner Enthaltung mehrheitlich angenommen.

Auf der Tagesordnung stand nun die Benennung der Vertretung des LFR im Medienrat der Landesanstalt für Kommunikation. Die einzige Kandidatin war Frau Andrea Sieber, Mitglied des LF-Beirats. Sie stellte sich vor als Pädagogin und Mitglied der Grünen, zweifache junge Mutter, teilzeitbeschäftigt und in vielen Ehrenämtern tätig. Keine weiteren Fragen außer der meinen (im Auftrag unserer Vorsitzenden Gertrud Martin): Ob sie sich für ein Verbot sexistischer und pornografischer Inhalte mancher Sendeformate wie z.B. „Pink stinks“ oder der Frühsexualisierung in den Medien einsetzen würde? Selbstverständlich müssten Kinder und Jugendliche vor solchen Inhalten geschützt werden, so die Antwort. Als Elternbeirätin und Medienpädagogin sei sie auf der Seite der Eltern.

Des Weiteren ist es dem LFR wichtig, das europäische Prinzip des Gendermainstreaming beizubehalten und in allen politischen Entscheidungen umzusetzen, gerade auch beim geschlechtergerechten Einsatz öffentlicher Mittel (Gender Budgeting). Es ist erstaunlich, mit welch enormen Summen die Landesregierung z.B. eine Kampagne gegen Gewalt von rechts unterstützt. 400.000,- € flossen 2016 aus Steuergeldern in die Beratungsstelle „Leuchtlinie“, die in deutscher, englischer und arabischer Sprache Hilfe und Kontakt anbietet für alle, die sich von „rechts“ bedroht fühlen. Von linker Gewalt war nicht die Rede.

Der LFR tritt ein für Änderungen der Organisations- und Arbeitskultur und die Beförderung partnerschaftlicher Rollenbilder und Verhaltensweisen. Der LFR engagiert sich konsequent für Menschenrechte und Frauenrechte und gegen jede Form von Gewalt gegen Frauen. Dazu gehören Migrantinnen in besonders prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen. Dazu gehören die vor Kriegen und/oder geschlechtsspezifischer Verfolgung geflüchteten Frauen und Mädchen, die in Baden-Württemberg Schutz und Zuflucht suchen.

Eine öffentliche Fachveranstaltung des LFR schloss sich an mit dem Titel „PARTIZIPIEREN. Geflüchtete Frauen in Baden-Württemberg. Herausforderung Zukunft“. Nach Begrüßung und Problemaufriss der Ersten Vorsitzenden LFR Manuela Rukavina sprach der Minister für Soziales und Integration BW, Manfred Lucha, ein Grußwort. Er zeigte sich begeistert von der Vielfalt der Beispiele für berufliche Teilhabe, Erwerb von Qualifikationen, Teilhabe an Sport und Vereinsstrukturen und Projekten, die an diesem Nachmittag von den Haupt-und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit vorgestellt wurden wie z.B. ein Fahrradprojekt für Flüchtlingsfrauen Bike Bridge Freiburg oder die Nähwerkstatt ZAUBERFADEN in Schorndorf. Die Frauenbeauftragte Carmen Merkel aus Gaggenau stellte Beispiele aus dem Familienalltag von Flüchtlingsfrauen vor, die man mit Mutter-Kind-Projekten vom „Zuhausehocken“ weglocke, auch gegen Widerstände der Männer und manchmal auch der Frauen selbst, denen die Versorgung der Familie wichtiger sei als Deutschlernen oder Sport.

Mein Eindruck von dieser Tagung war: Belange der hier versammelten Frauen sind nicht unbedingt auch Belange von Müttern. Die Gleichberechtigung der Geschlechter spielt sich nur über Gleichschaltung in Erwerbsarbeit, Partizipation in Wirtschaft oder Politik ab. Frauen mit „Eiern in der Hose“ haben Konjunktur. Sie werden mit rauschendem Applaus gefeiert. Die Forderung nach Gleichbewertung von Familienarbeit und Erwerbsarbeit wird mit Augenrollen quittiert, als überholt und unangebracht. Wie unemanzipiert ist das denn?