„Erbsündenlehre“ und „patriarchales Eherecht“ (Fh 2015/3)

Ein Tagungsbericht von Monika Bunte

Die Gerda-Weiler-Stiftung in Bonn hatte für den 27. bis 29.09.2015 eine Tagung angekündigt, deren Thema mich faszinierte: „Die Erbsündenlehre und ihre gesellschaftlichen Folgen“. Mit im Programm war am 2. Tag ein Vortrag zu „Rückblick und Stand des patriarchalen Eherechts“.

Die Autorin und Philosophin Marin Rullmann sprach über „Philosophisches Gedankengut zur Erbsünde in der Antike“. Einführend warnte sie davor, den Philosophen Sokrates, Platon und Aristoteles unbesehen das Attribut „groß“ zuzusprechen. Sie seien nicht „groß“, sondern nur wirkmächtig gewesen, denn die antike Philosophie habe wesentlich dazu beigetragen, patriarchales Denken durchzusetzen, „zum Tode hin statt von der Geburt her“.

Die grundlegende Aussage seit Aristoteles sei die Kennzeichnung der Frau als „Mängelwesen“. Mit der Frau waren Nachkommen zu zeugen: gefeiert wurde der Eros der Knabenliebe. Seitdem sei die Anthropologie geprägt durch die Herabsetzung des Weibes. Das führte zu einem asymmetrischen Menschenbild. Aristoteles stellte eine Werteskala der Gegensätze aus, wonach zum Beispiel der Himmel väterlich und die Erde mütterlich sei und vom Himmel befruchtet werde.

Die aristotelische Philosophie vertrug sich später bestens mit der Erbsündenlehre des Kirchenvaters Augustinus und der Scholastik bei Thomas von Aquin und Albertus Magnus (wieder einem „Großen“, dessen Größe in seiner Wirkmächtigkeit bestand). Nach der Überzeugung dieser drei „Großen“ war es Eva, die durch den den Apfel die (Erb-)Sünde in die Welt und über alle Nachkommen brachte. Die Leibfeindlichkeit späterer Jahrhunderte sei ohne die antike Philosophie nicht denkbar. Die Philosophie sei in Deutschland noch leibfeindlicher als die Theologie. „Und das will schon etwas heißen“, war die Meinung der Referentin. Die Vernachlässigung der Geburt ziehe sich durch das gesamte abendländische Denken. Allerdings habe Sokrates das Denken an sich als „Hebammenkunst“ bezeichnet.

In ihrem Vortrag „Entwicklung und Bedeutung der Erbsündenlehre“ wies die Autorin und Theologin Dr. Christa Mulack eindringlich darauf hin, was unter Paulus und seinen Schülern aus der dem Leben zugewandten Lehre Jesu geworden sei: ein patriarchaler Widerspruch zu deren ursprünglicher Ausrichtung. Das Konstrukt der Erbsünde, die weder im Alten Testament noch in den Evangelien vorkomme, „hat kein Heil gebracht, sondern tiefste Schuldgefühle und auch ekklesiologische (durch die kirchliche Lehre verursachte) Neurosen“. Nach Mulack protestiert die weibliche Seele durch Krankheit, während die männliche Seele Schuldenvergebung akzeptiere. Sie sieht in Paulus den Begründer der Schuldtheologie, die dem Kreuzestod Jesu sündenvergebende Kraft zuspricht. Hier lägen die ersten Ansätze der Erbsündenlehre, während Jesus Umkehr und Barmherzigkeit gepredigt habe.

Der Paulusschüler Timotheus bringt das Gebot „Die Frau schweige in der Gemeinde“ in die kirchliche Lehre ein und bezieht sich dabei auf die Schuld Evas. Jahrhunderte später feilt Augustinus die Erbsündenlehre aus.

Ein anderer Raum der theologischen Auseinandersetzung war die Gnosis, die nicht Glauben, sondern Erkenntnis will. Die Gnostiker verehrten Eva als die Bringerin des Lebens, und für sie gab es vor Eva die Göttin des großen Schweigens.

Den großen Bogen von der Philosophie und Theologie über das germanische, römische und kanonische (kirchliche) zu unserem heutigen Eherecht schlug Rechtsanwältin Irmela Amelung. Besonders wies sie darauf hin, dass die protestantische Ehelehre seit Luther („Die Ehe ist ein weltlich Ding“) sich von der katholischen Lehre von der Ehe als unauflöslichem Sakrament grundlegend unterscheide.

In der Zeit der Aufklärung (ca. 1730–1800 n.Chr.) setzte sich – von Ausnahmen abgesehen – die patriarchale Auffassung von Ehe und Familie durch: Der Mann ist das Haupt!

Als 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde, gab es in den verschiedenen Landesteilen unterschiedliche Rechte, die es zu vereinheitlichen galt. Das mündete 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), auf dessen Entstehung Frauen keinen Einfluss hatten. Das BGB basiert auf der „natürlichen“ patriarchalen Ordnung: Der Mann entscheidet! Zwar zeigten sich auf der Seite der Sozialdemokraten Proteste, aber ihr Einfluss war wegen des Dreiklassenwahlrechts gering.

Ausführlich ging die Referentin auf das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 ein und auf den langen Weg des Scheidungsrechts vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip. Beim Schuldprinzip konnte die „Schuld“ schon darin bestanden haben, dass die Ehefrau die eheliche Pflicht des Beischlafs verweigert oder dabei zu wenig Freude gezeigt hatte. Die schuldig geschiedene Frau hatte kein Anrecht auf Unterhalt. In verschiedenen Schritten wurde das Alleinbestimmungsrecht des Ehemanns letzten Endes noch beim Stichentscheid aufgehoben.

Durch das Gleichberechtigungsgesetz wurde das Eherecht zwar nicht weiter verändert, aber die Zugewinngemeinschaft als neuer gesetzlicher Güterstand eingeführt.

Weitere Ausführungen des Vortrags bezogen sich auf das Unterhaltsrecht und dessen gegenwätigen Stand, nach dem die Mutter nur noch bis zum dritten Lebensjahr des Kindes unterhaltsberechtigt ist. Allerdings zeigt sich das Sorgerecht für minderjährige Kinder als heißes Eisen: Während es früher überwiegend der Mutter zugesprochen wurde, gilt jetzt das gemeinsame Sorgerecht, auch für nicht-eheliche Väter. Das Zauberwort der neuen Väterbewegung – unterstützt durch das „brave“ Bundesverfassungsgericht (BVerfG) (O-Ton Amelung) – heißt „Kindeswohl“. Das bedeutet einen Perspektivenwechsel zu „Kinderrechten“, wobei die Vätermacht kaschiert wird.

Anmerkung:
Die Übersetzung der Begriffe „gut“ und „böse“ aus dem Hebräischen aufgrund der ältesten Sprachwurzeln, bezeichnet als „gut“ das, was den Menschen mit sich selbst ins Reine bringt, während „böse“ das ist, was den Menschen von sich selbst entfremdet. Sünde ist die innere Selbstentfremdung, die Entfernung vom Lebensziel.