www – Wir wollen wählen. – Feigheit? Oh nein, nur unsere Freiheit ! (Fh 2011/2)

von Julia Berendsohn

Landauf, landab wehren wir BürgerInnen uns immer öfter gegen Beschlüsse, die uns widerstreben, mischen uns vehement ein, wenn wir mit politischen Entscheidungen nicht einverstanden sind, verlangen, informiert und gefragt zu werden, wenn es um neue Vorhaben geht, die unser Leben beeinflussen werden, stellen Demokratie so vom Kopf auf die Füße. Wir wollen wählen, mitentscheiden, selber den Weg finden, den wir im Einklang mit unseren Bedürfnissen und denen von Gesellschaft und Natur gehen können. Wir wollen wählen – und das auch weltweit mehr und mehr.
Doch mitten im diktatorenfreien Europa, mitten in Deutschland, mitten in Berlin schreibt eine ehemalige Chefredakteurin der „Tageszeitung “ uns nun in einer „Streitschrift wider den Selbstbetrug“ vor, was die weibliche Hälfte der Bevölkerung zu tun und zu lassen hat. Manche Rezensentinnen, natürlich ebenfalls aus der privilegierten Gruppe der oft kinderlosen und gut verdienenden Journalistinnen, fanden ihr Buch („Die Feigheit der Frauen“(1)) dann auch „aufregend“ (Hamburger Abendblatt, 3.2.2011), was es wirklich ist, nur im anderen Sinne: Ich rege mich über solche autoritären Publikationen und deren teils positives Echo in den Medien nämlich enorm auf und frage mich, woher diese Damen Mika, Vinken, Badinter & Co.(2) die Frechheit nehmen, ihre höchstpersönlichen Lebensentwürfe als allgemein gültige und allein selig machende zu verkaufen. Sie wollen den Millionen von Geschlechtsgenossinnen, die sich anders entschieden haben, nicht nur ziemlich aggressiv den eigenen Pfad der Erleuchtung weisen, sondern ihnen auch „Geiselmentalität“(3) und „Unmündigkeit“ in der „Komfortzone“ vorwerfen. Ich bin wütend und entsetzt über 228 Seiten voll unbewiesener Behauptungen, frauenfeindlicher Klischees und falscher Schlussfolgerungen. Vor allem aber über den keifenden, geifernden Eifer, mit dem hier das „Schreckenszenario“ Familienarbeit angegriffen wird: „Und mit Kindern (…) wird alles noch schlimmer.“
Was ist es, das Bascha Mika so wild macht, obwohl es sie selbst gar nicht betrifft, da sie nie Mutter wurde, sondern als Intellektuelle ihr Glück fand?

– Es ist die „traditionelle Arbeitsteilung zwischen Vätern und Müttern“, bei der bis heute Frauen die meiste Sorge- und Hausarbeit leisten und das Gros ihrer Männer draußen Geld beschafft. Manche seien gar „von Beruf Gattin“ („Parasitengift“) und könnten nicht „einfach mal Abstriche“ bei der albernen Putzerei machen. Andere seien zu „bequem“ und „unterwürfig“, um sich „den Schock der frischen Außenwelt“ um die zarten Nasenflügel sausen zu lassen, und Kinder oft nur eine „Flucht“ vor „produktiver Arbeit“. Es sei zudem „peinlich“ (statt gerecht, wie ich meine), wenn Hausfrauen ihrem „Ernährer“ fast die gesamte Familienarbeit abnehmen und für dieses „Rückenfreihalten“ auch noch gelobt werden. Hatte das Paar es nicht einmal ganz anders geplant gehabt? (Ja, es gibt tatsächlich viel Blauäugigkeit vor dem ersten Baby und auch die nicht enden wollende Illusion eines 48-Stunden Tages!) Ist nicht das dusselige Weibsbild einem gesellschaftlichen „Komplott“, einer „Intrige“ und „Verschwörung“ zum Opfer gefallen – aber dennoch einfach selber schuld? So „vergeuden“ diese Frauen ihre Tage und haben „für ein Leben daneben keinen Platz“. Die Autorin wird zynisch, arrogant und geradezu gehässig, wenn sie behauptet, dass die meisten Frauen glauben, ihren „Reproduktionszirkus“ selbst gewollt zu haben und damit auch noch zufrieden zu sein. Höhnisch schreibt B. M.: „Denn sie erwarten Großes vom Kind: tiefste Befriedigung und letzten Sinn!“ Das sei lächerlich und realitätsfern. „Ist sie nicht irrsinnig glücklich?“ entfährt es ihr in verächtlicher Ironie, und sie ergänzt allwissend: „Sie lügt sich selbst in die Tasche, aber das leugnet sie.“ Schließlich hätten wir ja mit solchen hinterwäldlerischen Lebensmodellen „wenig für uns selber erreicht“!

– Es sind die gut ausgebildeten Mütter, die statt einer zeitintensiven Karriere in der Mehrheit doch lieber nur einen Halbtagsjob nehmen oder gar – Horror! – ein paar Jahre zu Hause bei den Kleinen bleiben, „Vertreter des deutschen Mutterwahns“, genau wie Christa Müller, die als abstoßendes Beispiel extra erwähnt wird. „Das Wohl der Familie ist ein regelrechtes Totschlagargument, dem sie alles unterordnen.“ Schließlich wüchsen die Gören in Frankreich und Skandinavien (die wieder mal herhalten müssen, ohne dass dort gefragt wird, wie er/sie den Familienalltag persönlich empfunden hat) nicht zu „Ungeheuern“ oder „Monstern“ heran (was wenig darüber aussagt, ob sie ihre Kindheit schön oder schlimm fanden und rein gar nicht, ob es ihnen mit mehr Elternbetreuung als Erwachsenen besser gehen würde). Überhaupt denkt die nur mit ihrem „Liebsten“ lebende Mika bei allen schäumenden Tiraden vornehmlich an gut betuchte Gruppen, deren tägliches Einerlei uns normalen Mitmenschen so fremd und fern ist wie der Autorin die Welt derer, die nicht zur angesagten und sich progressiv dünkenden gehobenen Schicht von Akademikerinnen gehört: „Nun lassen sie sich (…) fremdfinanzieren, bestaunen ihre Kinder und kümmern sich um ihre sonnendurchflutete Wohnung – naja, da gibt es noch die nette Weißrussin, die jede Woche putzen kommt.“ Die Ironie des Schicksals will es, dass ich ausgerechnet in dem von der Autorin so abschätzig erwähnten Hamburger Stadtteil Ottensen selber lebe und trotzdem noch nie mit einem „Kinderwagen (…) für achthundert Euro“ in einem Straßencafé neben anderen „Latte-Macchiato-Müttern“ – deren Devise angeblich „das Sein ist das Versorgtsein“ heißt – italienischen Milchkaffee geschlürft habe und weder „cool“ noch „aufgebrezelt“ bin, wenn ich mit meinen Enkeln einkaufen gehe.

– Es ist die Hypersexualisierung der jungen Frauen. Deren stetiges Bemühen um extreme Attraktivität und einen Beruf im Schönheitsgewerbe („Modelzucht“) beschreibt Bascha Mika mit Abscheu: „Sie reduzieren sich selbst auf den Körper und lassen sich darüber definieren“. Alles sei leider immer noch seit dem rosa Prinzessinnenwahn im Kinderzimmer darauf getrimmt, sich später einen möglichst gut verdienenden Mann zu schnappen („Liebeslist“)! Die Autorin lehnt sich empört gegen jede Erklärung in Richtung Biologie auf und lässt die Bedürfnisse kleiner und großer Mädchen nicht gelten. (Die der Jungs und ihrer Bemühungen um Anerkennung und Erfolg sowieso nicht, schließlich geht es in diesem Buch einzig und allein um unser weibliches Fehlverhalten.) Nein, alles sei schlichtweg anerzogen, aufgesetzt und bewusst manipuliert: “ (…) sie werden mit der Sehnsucht nach Mutterschaft geimpft, als einzigartige Bereicherung ihres Lebens.“ Mika will nicht wahrhaben, dass Tiere, für deren intelligenteste Sorte wir uns halten, von jeher um Fortpflanzung, also den Erhalt der eigenen Gene bemüht waren, auch wenn wir Menschen uns heute bewusst gegen Kinder entscheiden können. Sie will nicht zugeben, dass Männchen und Weibchen sich ewig anlocken, auf der Suche nach dem Begattungspartner, der das Aufziehen einer starken, lebensfähigen und wiederum attraktiven Brut am wahrscheinlichsten macht, selbst wenn wir noch ganz andere Ziele haben. Für die meisten Männer bedeutet das, sich eine weibliche Gefährtin zu wünschen, die fähig ist, gesunde Kinder zu bekommen und mit ihm liebevoll aufzuziehen, für die meisten Frauen, einen Mann zu finden, der Sicherheit und Schutz gewährt, so dass der gemeinsame Nachwuchs nicht zu Schaden kommt und sie selber sich frei entfalten können. Aber nach Ansicht der Autorin leiden wir normalen Mütter (wie gesagt, die Bedürfnisse der Väter tauchen nicht auf) unter einem krankhaften „Kümmersyndrom“, das uns vom kalten Wind der weiten Welt abschottet und im Stall der Familie bis zur Verblödung einsperrt: „Wollen wir Schafe sein oder Ärger provozieren?“

Ihr Fazit: Der Feminismus habe nicht viel gebracht und sei in Gefahr! Frauen, die halbe oder ganze Tage zu Hause arbeiten, seien eben feige, faul und dumm. Im Alter spätestens würden sie arm und von ihren Göttergatten verlassen sein. Da fragt man sich doch, warum die mutige, fleißige und kluge Bascha Mika nichts von stresskranken (weil außer Haus berufstätigen) Eltern, vernachlässigten (weil zu oft auf sich gestellten) Schulkindern und erschöpften (weil in der Familie unentgeltlich mithelfenden) Großmüttern weiß. Noch nie von ebenfalls betrogenen, einsamen und arbeitslosen einstigen Karrieredamen gehört hat. Und anscheinend gar nichts von glücklichen Paaren mit Kindern, die in gut eingespielten Familienteams, (die man je nach Geschmack und Kultur auch „christliche Urgemeinde“ oder „sozialistische Erwerbsgemeinschaft“ nennen könnte) ein erfülltes Leben genießen. Abhängig sind wir übrigens alle: finanziell von Arbeitgebern oder Partnern, vom Staat oder den Eltern oder später sogar von den Kindern. Emotional natürlich auch, durch Liebe und Zuwendung, die wir so dringend brauchen. Doch die Autorin möchte uns nicht als soziale Wesen sehen, schon gar nicht als Teil der Schöpfung, eher als kühne Kämpferinnen, egal wie einsam.

„Wollen wir frei und gleich sein?“ fragt sie am Ende ihrer Polemik. Selbstverständlich! Vor allem frei in unseren Entscheidungen und gleich anerkannt und akzeptiert für unsere Lebenswege. Nicht zu vergessen: glücklich und gesund. Wir wollen wählen, auch wenn mancher Ideologin das Ergebnis nicht in den Kram passt. Das ist der Preis der Demokratie.

Quellen:
1) Bascha Mika: Die Feigheit der Frauen. Rollenfallen und Geiselmentalität. Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug. Verlag C. Bertelsmann, München 2011. ISBN 978-3-570-10070-7
2) Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Die Frau und die Mutter. C.H.Beck Verlag, München 2010.
ISBN 978-3-406-60801-8
Barbara Vinken: Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. Piper Verlag, München 2001. (überarbeitete Neuauflage: Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2007.
ISBN 978-3-596-17619-9)
3) Dieses und alle weiteren Zitate sind aus „Die Feigheit der Frauen“ (vgl. Fußnote 1).

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